Frau Cottas Duft


Während ich noch dachte, das helle Bürschchen habe ja ganz schön großzügig gewohnt, wollte ich von der einen Kammer in die andere gehen und stieß dabei mit dem Kopf so heftig an den niedrigen Türrahmen, dass ich fast in die Knie ging. Mit brummendem Schädel rettete ich mich auf einen der wackeligen Holzstühle.
Im hinteren rechten Eck erschien aus dem sternendurchblitzten Dunkel Luthers Bett. Ich zögerte nicht, mich auf den Strohsack zu werfen, bedeckte meine Augen mit den Händen und döste vor mich hin. Sekunden, Minuten oder länger?
Eine helle, spöttische Frauenstimme drang auf mich ein:
„Nun erhebe dich schon, auf nach Sankt Georg, in die Schule! Keine Müdigkeit vortäuschen! Hast du wieder gelesen, bis der Docht heruntergebrannt war?“
„Pardon“, sagte ich, „Sie müssen sich irren, ich bin nur ein Besucher des Lutherhauses.“
„Besucher? Fein gesagt, mein Junge. So, und jetzt raus aus deinem Verhau. Frau Cotta wartet unten. Sie will dir gute Ratschläge mit auf den Weg geben. Sei artig, hörst du?“
Cotta?
Ich erinnerte mich. Das Haus, in dem ich mich befand, hat der Familie Cotta gehört. Und diese Frau Cotta, Ursula Cotta, war ja der Anlass, dass ich nach Eisenach gefahren war. Schließlich ist es schon interessant, einer Vorfahrin nachzuspionieren, zumal so einer.
Ich stolperte die Treppe hinab.
„Na also“, schallte es mir entgegen, „komm her, Junge!“
Frau Cotta zog mich an ihren mütterlichen Busen.
Ich reichte ihr dabei mit meiner Nasenspitze immerhin schon bis an ihre vollen Lippen hinan und musste meinen Kopf nur um ein weniges verdrehen und neigen, um dort hinab auf ihre wonneverheißenden Erhebungen blicken zu können.
„Am Abend erzählst du mir wieder, was du gelernt hast, ja?“
Sie duftete so, wie ich es mochte, und mit diesem Duft in der Nase eilte ich durch die Gassen. Zwar dachte ich unterwegs, dass ich ja vermutlich ein erwachsener Mann in der Jetztzeit sei, doch es benebelte mich Frau Cottas Duft. Diesen Duft zu riechen, war Ansporn genug, täglich die Schule zu besuchen und der neugierigen Frau Cotta am Abend vom Lernerfolg zu berichten. Ganz wissbegierig hörte sie dann zu, drückte mich abschließend an ihre weiche Brust, gab mir wohl zuweilen einen raschen Kuss auf meine Nasenspitze, schickte mich zuerst in die Küche und dann hinauf in mein Dachjuchhe.
Als ich wieder draußen vor Frau Cottas Haus ein Weilchen gedankenverloren verharrte, entfernten sich meine Schritte von mir. Ich rieb mir meine Beule und ließ die Schritte enteilen, froh, den jungen Luther los zu sein. Lange dauerte es, bis ich wieder zu eigenen Schritten fand. Nur langsam setzte ich Fuß vor Fuß. Hatte ich doch für kurze Zeit den Atem der Geschichte verspürt.
Frau Cotta und ich hatten ihn auf den Weg gebracht, ihn – Luther, Martin, den künftigen Reformator, der wie ich immer Frau Cottas Duft in der Nase behalten hatte, immer, für immer!