Konfisziert
„Kommen Sie doch hier mal her“, kommandierte mich der Zollbeamte herum. Ich stellte mich vor ihn hin. Es war eklig, wie er mir das Hemd hochschob, den Bauch mit einem Gel einschmierte und das Ultraschallgerät ansetzte. „Da sehen Sie hin!“ Er zeigte auf einen flackernden Bildschirm. „Steine! Aaaaaaaha! Da haben wir Steine! Einen in der Gallenblase und ... drehen Sie sich mal um! Ja, zwei in der rechten Niere, einen in der linken. Steine, wirklich Steine, was sagen Sie jetzt?“ Betreten schwieg ich. „Und wie lange waren Sie in der Türkei?“ Ich wischte mir das Gel mit dem zugereichten Krepppapier ab und steckte das Hemd in die Hose zurück. „Knapp drei Monate“, erwiderte ich wahrheitsgetreu. „Drei Monate? Da haben wir es. Wer bleibt schon drei Monate? Da sind Sie also hiergeblieben, bis sich diese Steine gebildet hatten und Sie sie mitnehmen konnten!“ „Aber“, versuchte ich einzuwenden, „solche Steine entstehen doch nicht innerhalb von drei Monaten, ich bitte Sie!“ „Da gibt es nichts zu bitten. Sie werden eben schon öfter hier gewesen sein. Gestehen Sie es gleich: wie oft?“ „Oh, Mann“, stöhnte ich, „seit Anfang der Siebziger dürfte das ein gutes Dutzend Mal der Fall gewesen sein oder vielleicht auch öfter.“ „Aaaaaaha, und welche Siebziger waren das, ich meine, welches Jahrhundert?“ Ich vermied es, zu lachen. „Dieses, äh, ich meine, letztes Jahrhundert, also so nach 1970.“ „Nicht doch 1870?“ „Nein, nein“, beeilte ich mich, „es ist seit bestenfalls ein paar Jahrzehnten, dass es mich in die Türkei zieht.“ „Da hatten Sie ja oft genug Zeit, die Schilder zu lesen.“ „Welche Schilder?“, fragte ich ratlos. Wortlos deutete er hinüber. Tatsächlich hing da ein Schild, auf dem auf Türkisch, Russisch und Deutsch ein Warnhinweis stand: Die Ausfuhr von Antiquitäten (z. B. Münzen, Fossilien, Ruinenfragmente u. ä.) ist gemäß §68 des Kulturschutzgesetzes verboten. „Mein lieber Freund“, sagte ich schmunzelnd, „zwar hält mich sogar meine Frau inzwischen für ein Fossil, aber haben Sie schon mal ein Fossil mit Gallensteinen gesehen, das eine Antiquität darstellt?“ Ich wollte gerade zu weiteren Erklärungen ansetzen, da unterbrach er mich barsch: „Sie als Deutscher sollten gelernt haben, ein ‚u-Punkt-ä-Punkt’ zu beachten. ‚U. ä.’ heißt es da! Gleicht ein Gallenstein etwa nicht einem Fossil und ein Nierenstein etwa nicht einer kostbaren Steinmetzarbeit der Seldschuken? Und gleichen Sie, der Sie ja schon zugegeben haben, von Ihrer Frau als Fossil betrachtet zu werden, etwa nicht einem ruinierten Kunstliebhaber?“ Zerknirscht musste ich zugeben, dass ich dem kaum widersprechen konnte, es sei denn – und damit entriss ich ihm den Ultraschallscanner, setzte ihn an seinen Kopf und sagte triumphierend: „Es sei denn, es handelte sich bei mir wie bei Ihrem auf dem Monitor deutlich sich abbildenden Gipskopf um eine billige Kopie ohne jeden Altertumswert!“ Das freilich war das Verkehrteste, was ich hatte tun können. Durch nichts wäre ich jetzt zu retten gewesen, wäre nicht meine Frau die ganze Zeit über dabei gewesen, hätte Sie nicht das ganze Geschehen miterlebt und sich nun eingemischt. Sie steckte dem Zollbeamten einen Fünfzigeuroschein zwischen die Zähne, blinzelte den Verdutzten an, gab ihm das Ultraschallgerät in die Rechte, hob ihren Pulli schamhaft zehn Zentimeter in die Höhe und lispelte: „Sollten meine Maßnahmen nicht nachhaltig zum Steineerweichen sein, mein Herr?“ Der Zollbeamte ließ von mir ab, starrte auf den Silberring, den sich meine Frau in einem Anfall von Jugendlichkeit in den Nabel hatte implizieren lassen und sagte, ohne mich anzusehen: „Sie können gehen, mein Herr, doch Ihre Frau ...“ Ich fackelte nicht lange. Ohne mich umzublicken verließ ich diesen inquisitorischen Ort und bestieg nach dem üblichen Getue das Flugzeug nach Deutschland, setzte mich bequem hin, blieb doch der Sitz neben mir leer, zückte mein Tagebuch und schrieb in Gedanken an meine liebe, aufopferungsvolle Frau: „Altertümer u. ä. können sehr nützlich sein, vor allem wenn man sie nach Gebrauch zurücklassen kann.“ Seitdem bin ich ein Gegner jeglicher weiteren Annäherung zwischen EU und Türkei. Man muss auch verzichten können. |