Düüü düüü dühüdü düü  oder Die Unvollendete

Ich überlegte gerade, ob ich von der Roßauer Lände mit dem Bus, der Straßenbahn oder der U-Bahn, ohne umsteigen zu müssen, ins Innere Wiens zurückgelangen könne, da bog ein kleiner, in einen abgetragenen Mantel gekleideter Mann an mir vorbei in die Grünentorgasse ein. Er pfiff vor sich hin. Die Melodie kam mir bekannt vor.
Beethoven vielleicht? War es „düddü düüü düüü dühüdü düü dü düüü düüü dühüdü düü“?
Das Richtige für einen Beethoven-Fan wie mich! Zweite Sinfonie, dritter Satz, Trio!
Oder doch nicht Beethoven? Ich war im Zweifel, lauschte und folgte dem Pfeifenden.
Die Melodie kam mir verbogen vor, der Rhythmus ungenau.
Hörte ich nicht „düddüddü düüü“ statt „dü düüü“? War der, dem ich nachlief, ein musikalischer Stotterer?
Plötzlich Stille. Vergeblich hielt ich nach dem Mann Ausschau. Unentschlossen verharrte ich nach ein paar hundert Metern, lehnte mich an eine Hauswand, wollte schon umkehren, da hörte ich ihn wieder. Der Mann verließ gerade raschen Schrittes ein großes Gebäude, Nr. 11, wie ich im Vorbeihasten lesen konnte.
Er sollte mir nicht mehr entkommen!
Seine Melodie strebte beim zweiten „dühüdü düü“ zu einem eigenartigen Schlusston, aber sie war periodisch, in einem so regelmäßigen Metrum, dass man gut dazu marschieren konnte.
Ziemlich weit marschierten wir.
Schließlich landeten wir linker Hand in einem Park.
Der Pfeifer schwieg.
Er nahm seine Mütze, die ich dadurch erst wahrnahm, ab und knüllte sie in seinen kleinen Händen zusammen.
Ich hatte ihn eingeholt und schritt nahezu gemeinsam mit ihm, Seite an Seite, auf zwei Denkmäler zu. 
Ich wollte schon vor lauter Ehrfurcht die Hände falten; denn es handelte sich um Beethovens und Schuberts ursprüngliche Grabmale, da kickte der Pfeifer einen Schotterstein in Richtung auf Beethovens Grabmal, pfiff die acht Takte, schaute mich durch seine überstarken Brillengläser trotzig an und rief:
„Nur wegen dieser zweiten Sinfonie hab’ ich mich von ihm ins Bockshorn jagen lassen! Und doch ist meine Melodie die bessere, nicht wahr mein Herr?“
Und nochmals pfiff er seine acht Takte:
„Düüü düüü dühüdü düü düddüddü düüü düüü dühüdü düü. Und jetzt liegen wir beide draußen auf dem Zentralfriedhof!“
Sprach’s und ließ mich sprachlos stehen.
Schubert:

scherzo

Beethoven:

Trio Beethoven
Schuberts und Beethovens ursprüngliche Grabmale


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