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Weltenherrscher, Wolkenfürst


Mit glühenden Ohren saß Mehmed auf einem harten Sitzkissen und lauschte dem Singsang seines Lâlâ Molla Hamideddin, der ihm wie in all den langen Nächten, in denen er immer wieder aus heftigen Träumen hochgeschreckt war, aus dem Iskender-name des Ahmedi, das voller Legenden um den sagenhaften Alexander den Großen steckt, vorlesen musste. Einige Szenen kannte Mehmed längst auswendig, ließ sie sich aber wieder und immer wieder vorlesen, so auch die Episode, in der Iskender den Drachen besiegt, der schon das Pferdegespann gerissen und nahezu völlig verschlungen hat.
Mehmed  erhob sich rasch, beugte sich nach vorne wie Iskender im sich neigenden Wagen und stieß sein Schwert in die Windungen des vor ihm ausgelegten Wolkenband-Teppichs.

 alexander
Iskender (Alexander) besiegt den Drachen,
türkische Miniatur (15. Jahrhundert)


Triumphierend blickte er seinen Lâlâ an, der das Buch zuklappte und sich mit einer Verbeugung etwas zurückzog. Mehmed winkte ihn hinaus. Schließlich wollte er bestimmen, wann wer zu ihm kommen oder von ihm fortgehen sollte.

Seine Mutter ließ er in solchen Nächten nicht vor. Ihr dauerndes Verlangen, ihm vom Propheten Isa zu erzählen, zumal von dessen Kreuzestod, ging ihm auf die Nerven. Ja, gut, gegen die Fähigkeiten, übers Wasser zu wandeln und Tote aufzuerwecken, hatte er nichts, die – so meinte er – stünden ihm wohl auch an, aber diese Geschichten mit dem Verrat und Isas Nichtstun, außer zu beten, machte ihn ganz kribbelig. Da meinte er, Isa verachten zu müssen.
Hellhörig wurde Mehmed nur, wenn ihm die Mutter von Maria Magdalena erzählte, dieser Granatapfelfrau, die er, wäre er Isa gewesen, sich in seinen Harem geholt hätte. Diese Rothaarige – jedenfalls stellte er sie sich rothaarig vor – erinnerte ihn an seines Vaters Ehefrau Despina Hatun, die zwar keineswegs rothaarig war, die aber Mehmed so vorkam. Gerade einmal zwanzig Jahre älter war sie als er, nicht zu alt, als dass sie ihm nicht gefiele. Ihr gegenüber spielte er den lieben Stiefsohn, tat wie ein Kind, wenn er sich an sie kuschelte, natürlich erst, nachdem er alles Personal mit unsinnigen Aufgaben fortgeschickt hatte.
Sie roch gut, jedenfalls besser als die jungen Sklavinnen, die ihm seine Mutter zuführte, fast so gut wie seine jugendlichen Gespielen, auch Sklaven zwar, aber von die Sinne berauschender Anmut.

Jetzt freilich war er alleine. Süß war es, alleine zu sein, hingegeben den Gedanken an sein hoffentlich nicht mehr allzu fernes Herrscherleben. Gerne hätte er jetzt geseufzt, hätte er nicht gewusst, dass Lauscher hinter den Türen und Wänden eine solche Schwäche sofort seinem Vater melden würden. Einem Vater, der sich eigentlich einen Dreck um ihn scherte, ihn sogar schon eine Memme genannt hatte und diesen üblen Halbbruder Alaeddin Ali favorisierte. Der Tag würde kommen, an dem er ihnen allen zeigen konnte, dass er, nur er, wie Caesar die Unbequemen beseitigen würde. Sie sollten sich hüten!

Er legte sich wieder nieder, rief seine Amme und ließ sich fest in Decken einhüllen, ließ sich ein Lied vorsingen, ganz leise, und schlief, ein Wolkenfürst – mit dem Daumen im Mund , rasch ein.

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